Sonntag, 7. November 2010

Deutsche Angstforschung

Es war 2008. Mit einer Konferenz unter dem Titel „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“ beschritt das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin unter seinem inzwischen emeritierten Professor Dr. Wolfgang Benz neue Wege der Feindbildforschung und verbreitete dabei eine unglaubliche Entdeckung: Die Deutschen mögen nicht nur keine Juden, sie mögen auch keine Muslime.

Wissenschaft lebt von Vergleichen, und Vergleiche sind so erlaubt wie sie hinken. Nur das Herausarbeiten von Parallelen lässt Muster erkennen, Strukturen, die kategorisierbar und damit greifbar werden. Das gilt für die Totalitarismusforschung wie für die Feindbildforschung. Das Zentrum für Antisemitismusforschung hat aber, wie der Name sagt, eine Aufgabe: Die Erforschung des Antisemitismus. Das scheint seinem Leiter gegen Ende der Amtszeit langweilig geworden zu sein, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass vielleicht auch die Prägung durch seinen Doktorvater Karl Bosl, der bereits im Mai 1933 Mitglied der NSDAP und des NS-Lehrerbundes wurde ,eine Rolle spielte bei dem Wunsch, die Eigenheiten insbesondere des deutschen Antisemitismus durch eine Neuerfindung zu relativieren.
So wurde nachdem der Antisemitismus durchaus richtig als Feindbild entdeckt war die Theorie der Islamophobie entwickelt und der Politik nahe gebracht. Vielleicht auch eine Maßnahme, um der zwischenzeitlich in Erwägung gezogenen Schließung des Zentrums effektiv entgegen zu wirken. Nur wenige wagten es gegen die merkwürdige Wandlung, die da vor sich ging und diese neue Ausrichtung zu protestieren. Allerdings war die Kritik gut begründet.

Denn: Ist der Antisemitismus tatsächlich so tot, dass er keiner Forschung mehr bedarf? Sollten wir ihn in der Versenkung verschwinden lassen, wo er eigentlich hingehört? Die politischen Entwicklungen zeugen vom Gegenteil. Der Antisemitismus ist in Deutschland nicht nur nach wie vor existent, sondern er ist noch um eine praktische Variante erweitert worden, da er sich nun auch gegen den Staat Israel richtet. Dessen Existenzrecht besonders von seinen arabischen Nachbarn und islamischen Terrororganisationen unter Federführung der Islamischen Republik Iran regelmäßig bestritten wird. Dass es daher eine besondere Ausprägung eines muslimischen Antisemitismus gibt hatten engagierte Kreuzberger (im Übrigen solche mit „Migrationshintergrund“) bereits 2004 bemerkt und daraufhin die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus KIgA e.V. gegründet, die anfangs hoch gelobt, danach allerdings fast wieder eingestampft wurde – weil nicht sein kann was nicht sein darf. Eine Minderheit, die eine andere Minderheit diskriminiert? Die Initiative hat sich nicht beirren lassen und arbeitet weiter – jetzt eher im Stillen, aber glücklicherweise doch außerordentlich erfolgreich.

Nun ist sich der Deutsche seiner Schuld bewusst und er bemüht sich, wieder gut zu machen was wieder gut zu machen ist. Das ist nicht viel, aber immerhin ist das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels inzwischen mehrheitsfähiger Konsens in Deutschland. Die Juden sind als religiöse Minderheit anerkannt und ihre Einrichtungen werden von der deutschen Polizei geschützt. Das ist aufgrund der noch vorhandenen Bedrohungslage, die sich in antisemitischen Schriftstücken verschiedenster Färbungen immer wieder neu manifestiert, notwendig. Moscheen oder muslimische Einrichtungen entsprechend regelmäßig zu schützen ist absehbar eher nicht notwendig. Die Proteste gegen den Moscheebau in Berlin-Heinersdorf wurden beispielsweise durch die Bürgerinitiative „Heinersdorf öffne dich“ in Privatinitiative wieder gut gemacht, deren Initiatorin Sandra Caspers erhielt hierfür 2009 öffentliche Anerkennung durch die Auszeichnung mit dem Band für Mut und Verständigung des „Bündnis der Vernunft gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“. Das ist eine Initiative verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen, in der auf Initiative der Gewerkschaft DGB unter anderem die Jüdische Gemeinde und die Kirchen vertreten sind.

Was also treibt Professor Benz dazu, der notorisch antisemitischen Internetzeitung Muslimmarkt, die in so interessanten Beiträgen wie „Die jüdische Frage aus Sicht eines Muslims“ beispielsweise die These aufstellt, dass Judentum nicht mit anderen Religionen vergleichbar ist, ein Interview zu geben?

Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, was auch das Recht der Wahl des Mediums einschließt, in dem man seine Meinung publiziert. Wenn man ernst genommen werden möchte sollte man es allerdings tunlichst unterlassen, sich mit einem Medium einzulassen, dessen Ausrichtung als extremistisch bekannt ist. Die Internetseite Muslimmarkt ist ein solches Medium. In dem Teil, den es als „Palästina spezial“ ausgibt, wird Israel als Pseudostaat bezeichnet, der die systematische Vernichtung Palästinas betreibt. Diese Seite schürt genau den Hass, gegen den versöhnungsbereite Initiativen wie die KIgA anzugehen versuchen. Wenn man als Wissenschaftler nicht auf das Medium achtet, in dem man publiziert, hat man zumindest eine Verantwortung für das, was man sagt. Ob Herr Benz die Dinge in diesem Interview tatsächlich so gesagt hat kann nur er beurteilen, zumindest stehen sie im Internet. Beispielsweise so:

MM: Einstmals wurde über den angeblich schlimmen Inhalt des Talmud diskutiert. Heute maßen sich Nichtmuslime an, den Heiligen Qur'an für Muslime ähnlich schlimm interpretieren zu wollen. Was hätten damals Juden machen können, um die Friedfertigkeit ihrer Religion zu erläutern, und was können heute Muslime im Land tun?
Prof. Benz: Das ist die schwierigste Frage überhaupt. Wenn die Minderheit - damals die Juden, heute die Muslime - allein gelassen wird, dann hat sie keine Chance. Die Minderheit braucht Verbündete in der Mehrheit, die davon überzeugt sind, dass diese Vorwürfe nicht richtig sind, und die auch ihre Überzeugung energisch vertreten.


Also: die Wissenschaft auf der Suche nach einer Minderheit, die sie in Schutz nehmen kann? Interessant, dass Herr Benz Juden heutzutage offenbar nicht mehr als Minderheit betrachtet. Oder vielleicht meint er auch nur, dass sie sich in Deutschland inzwischen an den Polizeischutz gewöhnt haben und das Problem deshalb irrelevant geworden ist. Die Juden hätten es „damals“ sicher geschätzt, wenn sie alleine gelassen worden wären. Wurden sie aber nicht, stattdessen wurden sie mit Ausgrenzungen konfrontiert, die viele dazu brachte, ihre Identität aufzugeben und sich taufen zu lassen. Was ihnen nichts nutzte. Wo bitte ist die ansatzweise Näherung eines validen Vergleichs in dieser von Professor Benz getätigten Aussage? Die Verhältnisse, sie sind ja wohl heutzutage anders und kein Muslim käme auf die Idee sich taufen zu lassen, um etwa in den Staatsdienst übernommen zu werden. Minderheit braucht keine Mehrheit, die ihre Überzeugung vertritt, sondern Freiheit von Diskriminierung.

MM: Auf der anderen Seite ist nicht zu bezweifeln, dass es unter manchen Muslimen Antisemitismus gibt. Andere hingegen haben keinerlei rassistische Erwägungen sondern stellen sich politisch gegen den Zionismus, wobei die Grenzen fließend ineinander übergehen. Wie kann man Antisemitismus und Antizionismus wissenschaftlich-historisch voneinander unterscheiden?
Prof. Benz: Das ist ziemlich schwierig, aber durchaus machbar. Das betreibe ich in Büchern, Artikeln, Aufsätzen seit langer Zeit. Antisemitismus ist grundsätzlich etwas anderes als Antizionismus. Aber Antizionismus kann benutzt werden, um Antisemitismus zu artikulieren, und das geschieht immer häufiger und immer öfter. Der Denkfehler ist nur der, dass unterstellt wird, nur Muslime seien Antizionisten. Antizionismus gibt es als Israelfeindlichkeit unter Nichtmuslimen natürlich ebenso, wie unter Muslimen. Man muss eine Feindschaft gegen den Staat Israel, gegen die Existenz des Staates Israel, und eine Feindschaft gegen Juden unterscheiden – und muss dabei aber wissen, dass Antisemitismus und Antizionismus durchaus in ein und derselben Form auftreten können.

Wie unterscheidet sich der politische Zionismus vom rassistischen? Ist Antizionismus ohne Rassismus in Ordnung? Und seit wann ist es schwierig, Antisemitismus von Antizionismus zu unterscheiden? Warum ist es notwendig, das Existenzrecht Israels immer wieder zu betonen? Darüber hinaus frage ich mich, wer den Denkfehler begeht zu unterstellen, dass nur Muslime Antizionisten sind. Über Unterstellungen zu schwadronieren und daraus einen Denkfehler zu konstruieren zeugt nicht von einer wissenschaftlichen Denkweise sondern eher von dem Versuch, sich anzubiedern – bei wem und warum auch immer.

Diese merkwürdig anmutenden Auffassungen von der muslimischen Schutzbedürftigkeit und dem geheimnisvoll verwobenen Antisemitismus und Antizionismus wären schon merkwürdig genug. Darüber hinaus generiert sich Professor Benz in diesem Interview aber einmal mehr als das Opfer von Hass und Intrigen. Professor Dr. Wolfgang Benz: „Rufmordkampagnen sind gegen mich losgetreten worden, was mir umso mehr beweist, wie hysterisch die Lage ist“. Der Antisemitismusforscher als Opfer der Islamophie? Es ist Zeit, dass die Antisemitismusforschung in Deutschland sich wieder auf ihre Aufgaben besinnt. Eine derartige Vermischung wie sie hier generiert wird ist schädlich für alle Beteiligten und ganz besonders stärkt sie die extremistischen Elemente, die es als legitim betrachten, Israel das Existenzrecht abzusprechen – politisch, wohlgemerkt, nicht rassistisch.