Montag, 4. Oktober 2010

20 Jahre Deutsche Einheit

Wer hätte das noch vor einem Vierteljahrhundert geglaubt? Seit 20 Jahren ist Deutschland wieder vereint, aus den selbstbewussten Protestrufen von „Wir sind das Volk“ ist die Devise „Wir sind ein Volk“ geworden, der amtierende Bundespräsident Christian Wulff beschwört in seiner Rede anlässlich des 20. Jahrestages "Deutschland, einig Vaterland" und bemüht sich dann der Frage nachzugehen, was denn nun die Deutschen eint. Ein Volk – der Begriff mutet für eine Gesellschaft, deren Identität föderalistisch generiert ist, die traditionell fremden Kulturen gegenüber aufgeschlossen war, und die stolz auf ihre wieder neu erworbene interkulturelle Kompetenz ist, merkwürdig an. Es bedurfte wohl der ostdeutschen Abgeschiedenheit von einem großen Teil des Rests der Welt, um ihn wieder aus dem Vergessen zu holen, in die ihn die (west)deutsche Volksgemeinschaft im Zuge der Aufarbeitung nationalsozialistischer Vergangenheit schamvoll versenkt hatte. Allerdings – im Osten wie im Westen - muss man wohl im Hinblick auf die seit 1945 gepflegten internationalen Kontakte feststellen, dass sie zuweilen vorsichtige Annäherung waren, wieder Fuß zu fassen im internationalen Weltgefüge. Zwar dienten sie einerseits dem wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt, andererseits aber eben später, als sich der wirtschaftliche Aufschwung eingestellt hatte, auch der Anwerbung von „Gastarbeitern“ mit dem Ziel, Profit aus deren Arbeit zu gewinnen. Dass Ausbeutung in einer globalisierten Welt und unter dem Gesichtspunkt menschenrechtlicher Konventionen und komplexer völkerstaatsrechtlicher Regelungen zu Recht nicht mehr so einfach funktioniert wie noch zu Zeiten asymmetrischer Kräfteverhältnisse scheint dabei nicht im Bewusstsein der seinerzeit verantwortlichen Politiker verankert gewesen zu sein. Vielleicht ist auch das daraus unbewusst resultierende Schuldgefühl mit ein Grund, weshalb die Diskussionen so emotional und merkwürdig einseitig geführt werden. Denn auch heute orientiert sich die öffentliche Debatte noch nicht an den wesentlichen Punkten, die einer vernünftigen Politik entsprechen würden – nämlich der Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen um unsere nationalen deutschen und europäischen Interessen zu vertreten, sondern an emotionalen Befindlichkeiten und Spiegelfechtereien, die zu heftigsten Missverständnissen führen können und mit den absurdesten Forderungen und Ideen verbunden sind. Davon zeugen nicht nur die zahlreichen Podiumsdiskussionen und Debatten, sondern gelegentlich auch die staatstragenden Reden führender Politiker, die eigentlich richtungsweisender Natur sein sollten. Es freut zu hören, wenn sich unser Bundespräsident darüber freut, dass deutsche Muslime ihm schreiben, dass er ihr Präsident ist. Verwundern tut allerdings, dass ihm diese Briefe so wichtig sind, dass er sie in seiner öffentlichen Rede aus Anlass des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung in den Mittelpunkt stellen muss. Vielleicht möchte er verhindern, dass es Muslimen so geht wie den deutschen Juden, denen man gerne mal erklärt, ihr „Präsident“ wäre der jeweilige Präsident Israels? Bei Muslimen wäre das nicht so einfach, denn es gibt neben den in Deutschland immer wieder an erster Stelle genannten Türken auch noch Araber aus verschiedenen Staaten, und es gibt nicht nur eine muslimische Glaubensrichtung sondern mehrere. Phänomenal peinlich allerdings wird es, wenn unser Bundespräsident zur Erklärung der deutschen Weltoffenheit einen Rückgriff auf Goethe wagt. Wer Goethe und Islam im Internet recherchiert wird auf eine verblüffende Anzahl von Webseiten stoßen, die sich der merkwürdigsten Theorien bemühen, um aus Goethe einen Muslim zu machen. Komischerweise findet sich kaum ein Hinweis darauf, dass Goethe sich durchaus auch mit anderen Religionen, etwa dem Buddhismus beschäftigt hat. Und dass Goethe ein weltaufgeschlossener Mensch war, der sich mit vielen Glaubensrichtungen befasste und der jeglichem Dogmatismus mit Abscheu begegnete. Der Redenschreiber des Präsidenten reduziert Goethe also auf den Satz "Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“ Daraus konstruiert er dann: „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland. Vor fast 200 Jahren hat es Johann Wolfgang von Goethe in seinem "West-östlichen Divan" zum Ausdruck gebracht“. Das zeugt wahrlich von einer merkwürdigen Art der punktuellen und opportunistischen Geschichtswahrnehmung, die unseren gegenwärtigen Problemen und Bestrebungen, eine weltoffene bunte Republik zu werden sehr entgegen laufen. Allerdings mag es sein, dass der Islam vielleicht ganz anders in das deutsche Selbstverständnis passt, als Politiker es mit ihren gut gemeinten Sonntagreden glauben machen möchten. Der Berliner Verfassungsschutz rückt den islamistischen Terrorismus als Bedrohung inzwischen an erste Stelle noch vor dem rechten und linken Extremismus. Wir Deutsche haben noch immer ganz gewaltige Probleme mit der Toleranz, davon zeugen nicht nur die jüngsten Morddrohungen gegenüber dem Bahn-Chef Rüdiger Grube, der beabsichtigt, den Stuttgarter Hauptbahnhof zu modernisieren. Wie sagte Herr Wulff? „Wir können stolz sein auf unsere kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Leistungen. Vor allem auf das soziale Klima in unserem Land, auf Toleranz, Kompromissfähigkeit und Solidarität.“ Schön wäre es! Nein, wir Deutschen sind keine besseren Menschen geworden, aber wir sollten uns wenigstens darum bemühen Wege zu finden, den Fundamentalisten und Extremisten egal welcher Farbe keine Chance zu lassen. Das wäre wohl eher im Goetheschen Sinne als sich zu der irreführende Behauptung hinreißen zu lassen, der Islam gehöre seit 200 Jahren zu Deutschland, und das ist tatsächlich eine historische Tradition, die uns gut zu Gesicht stünde. Mit Integration hat Religion übrigens eigentlich gar nichts zu tun. Die ist in Artikel 4 unseres Grundgesetzes eindeutig geregelt: „ (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen